Biedermann und die Brandstifter

 

Kreiszeitung 27. 03. 2017

 

„Was würden Sie tun? Und wann?“

 

Sindelfinger Theater Szene03 überzeugt mit Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“

 

Von Eddie Langner

 

SINDELFINGEN. Im Film geht es einem manchmal so: Jemand ignoriert sämtliche Warnungen und Vorzeichen und läuft blindlings in sein Verderben. Als Zuschauer kann man darüber in solchen Momenten nur den Kopf schütteln. Ähnlich geht es dem Publikum bei der Szene03-Inszenierung von Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, die am Freitagabend im nahezu ausverkauften Theaterkeller Premiere feierte. Auch hier steuert ein argloser Bürger namens Biedermann (Bernd Schmalenbach) zusammen mit seiner Frau (Marja Rothenhöfer) sehenden Auges geradewegs auf eine Katastrophe zu.

Genauer gesagt: Sie holen sich die Katastrophe selbst ins Haus. Und zwar in Gestalt zweier Hausierer, denen die Biedermanns Obdach gewähren. Sie tun das, obwohl sie eben noch selbst über gutgläubige Menschen den Kopf geschüttelt haben, die gerade überall im Land auf eben diese Masche hereinfallen: Als Hausierer getarnte Brandstifter erschleichen sich das Vertrauen ihrer Gastgeber und fackeln ihnen die Hütte ab.

Der eine ist ein grobschlächtiger Kerl namens Schmitz, ein ehemaliger Ringer. Gespielt wird diese Figur von Daniel Bayer. Im Trainingsanzug und mit schmierig-langen Haaren gibt er genüsslich den prolligen Schmarotzer mit scheinbar verletzter Seele. Seine wahre Natur tritt im Verlauf des Stücks aber immer mehr zum Vorschein.

Der andere ungebetene Gast im Hause Biedermann ist der Kellner Eisenring (Volker Bönisch). Der ehemalige Sträfling versucht erst gar nicht so zu tun, als seien er und Schmitz etwas anderes als das, was die Biedermanns und ihr Dienstmädchen (Jenny Spitzer, die zudem als Chorstimme mit Florian Penkwitt in spöttischen Versen auf drohendes Unheil hindeutet) von Anfang an in ihnen vermuten: zwei gemeine Brandstifter.

Im weiteren Verlauf wird dies den Zuschauern in geradezu aberwitziger Deutlichkeit vor Augen geführt. Anfangs noch mit Andeutungen, später wird so heftig mit dem Zaunpfahl gewinkt, dass man als Zuschauer am liebsten die Bühne stürmen und dem vor Angst wie gelähmten Biedermann damit auf den Kopf hauen würde. Stattdessen sieht er tatenlos dabei zu, wie Schmitz und Eisenring ungeniert Benzinkanister auf dem Dachboden platzieren, hilft sogar beim Auslegen der Zündschnur und ist am Ende auch noch derjenige, der den beiden das Streichholz zum Anzünden reicht.

Zuvor wendet er sich immer wieder ans Publikum: „Was hätten Sie getan? Und wann?“, fragt er zitternd vor Zorn. Und genau darum ging es Max Frisch in seiner Biedermann-Geschichte, die seit ihrer Entstehung vor mittlerweile fast 80 Jahren schon zahlreiche Deutungen erfahren hat.

Wie in der KRZ berichtet, erinnern viele Entwicklungen in den heutigen Tagen Szene03-Regisseur Karsten Spitzer an die Zeit vor der Machtergreifung der Nazis in den 1930er Jahren. Aus diesem Grund hat er einige wohlplatzierte Anspielungen auf aktuelle Bezüge in seine ebenso kluge wie souveräne Inszenierung gestreut, darunter die Forderung des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke nach einer „Erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende“, Angela Merkels „Wir schaffen das“-Parole oder den von Trump-Sprecherin Kellyanne Conway geprägten Begriff der „alternativen Fakten“.

Bei der Premiere am Freitag gab es begeisterten Applaus. Und das völlig zu Recht: Spitzer und sein Ensemble überzeugen durch die Bank bei dieser Inszenierung voll giftigem Humor und bitter-ernsten Untertönen. Und was am wichtigsten ist: Das Stück regt zum Nachdenken an. Der Denkprozess beginnt gleich im Foyer: „Man denkt immer, jetzt müsste er doch aufwachen“, meinte da ein Premierengast zu einem anderen. Aber dann fällt ihm ein, dass Adolf Hitler es damals mit „Mein Kampf“ ja genau so gemacht hatte. „Da konnte auch jeder ganz offen nachlesen, was er vorhat.“ Bleibt die Frage, die Biedermann im Stück stellt: Was würden wir tun? Und wann?

 

 

SZ/BZ  29.03.17 

 

von Matthias Staber

 

Wen wollen Deutsche als Nachbarn haben? Und schaffen wir das, wenn ein Teil der Bevölkerung auf solche Fragen beängstigende Antworten findet? Als Diskussionsbeitrag zum Erstarken des Rechtspopulismus hat Karsten Spitzer seine Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“im Theaterkeller Sindelfingen für die freie Gruppe Theater Szene 03 entworfen. Nicht zuletzt dank starker Darsteller funktioniert dies erstaunlich gut, ohne zur Predigt zu geraten.

 

Gewiss, Karsten Spitzer bedient sich sattsam bekannter Zitate und Andeutungen, um Max Frischs Drama aktuelle Bezüge mitzugeben. Kellyanne Conways „alternative Fakten“ werden ebenso in die Waagschale geworfen wie Alexander Gaulands zynische Unterstellung, Deutsche würden keine Nicht-Weißen als Nachbarn haben wollen. Und selbstverständlich darf der Dauerbrenner zur Krise nicht fehlen, Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“.

Doch Aktualität per Zaunpfahl ist nicht die Strategie der Inszenierung. Karsten Spitzer verwendet diese Zitate vielmehr, um dem Zuschauer Deutungsangebote zu machen und einen Rahmen zu schaffen, um darin das Spiel seiner Darsteller einzupassen.

Wenn Volker Bönisch etwa seinen Brandstifter Eisenring lachend sagen lässt, die „nackte, blanke Wahrheit“ sei die beste Tarnung, „denn die glaubt einem niemand“, ist an dieser Stelle gar kein weiterer Hinweis auf Donald Trump mehr nötig, um beim Zuschauer eine Assoziationskette auszulösen. Trump liefert, was er angekündigt hat. Und alle sind erstaunt.

Wenn Daniel Bayer als Brandstifter Schmitz seinen Brandstifter-Kollegen Eisenring als grundanständigen Kerl vorstellt, den man gerne als Nachbarn haben möchte, kommt die AfD ins Spiel, ohne genannt werden zu müssen. Und wenn Karsten Spitzer sich als intellektuelles Mitglied der „Bewegung“ von der Zündelei der Brandstifter distanziert, schweifen die Gedanken zum Umgang von Zynikern wie Frauke Petry oder Jörg Meuthen mit rassistischen und antisemitischen Brandstiftern wie Alexander Gauland oder Björn Höcke.

Das ist gut gemachtes Theater: Die Inszenierung dient als Lesehilfe, aber lesen und denken muss jeder selbst. Im Zentrum der Inszenierung stehen die Darsteller Bernd Schmalenbach als Biedermann, Marja Rothenhöfer als dessen Ehefrau Babette sowie Volker Bönisch und Daniel Bayer als die beiden Brandstifter. Die Interaktion dieser Figuren miteinander hat es in sich und packt den Zuschauer von Anfang an. Als Chor ziehen Jenny Spitzer und Florian Penkwitt eine weitere Deutungsebene ein, was sehr gut funktioniert.

Wie Daniel Bayer seiner Figur eine unangenehme physische Präsenz mitgibt, die Beklemmung auslöst, spiegelt sich im Spiel von Marja Rothenhöfer dermaßen intensiv, dass dem Zuschauer die Spucke wegbleibt. Der zündelnde Faschist als Raubtier, das Frauen begrapscht und noch stolz drauf ist: Eine der stärksten Szenen zeigt Eisenring, wie er beim Dinner um Babette herumschleicht, an ihren Haaren schnuppert und sie anfasst, während sie sich windet und sichtlich leidet, niemand am Tisch aber den Mut aufbringt, einzuschreiten.

Bernd Schmalenbach bringt die schwierigste Rolle des Stücks auf die Bühne. Als verängstigter Spießer Biedermann, bei dem sich die beiden Brandstifter auf dem Dachboden eingenistet haben, liefert Schmalenbach die emotionalsten Momente der Inszenierung. „Was hätten Sie getan an meiner Stelle?“, fragt Biedermann, „und wann?“ Dass diese Frage nicht rhetorisch wirkt, ist dem intensiven Spiel von Bernd Schmalenbach zu verdanken.

Nein, dieser Biedermann stellt eine echte Frage, die ihrer Beantwortung harrt: Wie umgehen mit Brandstiftern, wann eingreifen? Wenn sie gegen Minderheiten hetzen, oder erst dann, wenn sie einem die eigene Bude in Brand stecken? Oder lieber nur tatenlos zusehen, um nicht als „ängstlicher Spießer“ rüberzukommen? „Ich habe das Recht, überhaupt nichts zu denken“, sagt Biedermann, „ich will nur meine Ruhe und meinen Frieden.“ Dass es diesen Frieden nicht gibt, solange Populisten zündeln, steht als Kernaussage im Zentrum dieser Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“.