SZBZ Sindelfinger Zeitung 27.04.2010

Konsequent und wohldosiert-

Von unserem Mitarbeiter Ulrich Holthausen

„Ein Glas Bier, aber nur gegen Geld. Eine Tasse Tee – aus Versehen“. In einer geradezu kühlen Versuchsanordnung greift Albert Camus das Thema von der Heimkehr des verlorenen Sohnes auf. Wobei an die Stelle des fröhlichen Wiedererkennens „das Missverständnis“ tritt. (...)

 

Doch Jürgen Siehr hat es verstanden, eine starke, eine spannende Inszenie-

rung zu entwickeln. Ernst und schwer, ganz in Grau präsentiert sich so nicht

nur die Bühne. Jürgen Siehr hat diesen dramatischen Stoff wunderbar ruhig

inszeniert, ist nicht dem Locken nach Tempo oder Aggression erlegen. Oder

den emotionalen Spitzen im Moment des Erkennens, als Mutter und Tochter

erkennen, wen sie da ins Jenseits befördert haben. (...)

 

 

Starkes Ensemble

Jürgen Siehr hat es wieder einmal verstanden, ein starkes Ensemble zusammenzustellen. Eine eindrucksvoll ausdrucksstarke Gisela Samesch als verhärmte Alte – stark auch die Maske durch Miya Schweickart – in ihrer tiefen Ausweglosigkeit. Stark auch Katrin von Hochmeister in der schwierigen Rolle der Tochter. Genauso griffig in der Gier nach Leben und Sonne in einem warmen Land, wie in der Versteinerung eines reue-losen Rechts auf Glück. Gelegentlich agiert sie fast eine Spur zu deutlich und zeigt dann mimische Schwächen. Selbst in der Gefühlsaufwallung bleibt Daniel Bayer als Sohn Jan herrlich ahnungslos naiv und unpathe-tisch. Gestrandet in der eigenen Traumwelt und der eigenen Gedankenschwere.

Schwer hat es gegen dieses Trio da Christiane Binder als seine Ehefrau Maria, die als Einzige in diesem ruhigen Spiel Emotionen zeigen darf und dann schnell etwas schrill wirkt. Bedeutungsschwanger und fast wortlos schlurft der alte Knecht (Jürgen Siehr) durch das Stück. Sein „Nein“ beendet das Stück. Nein, Albert Camus negiert den wiederaufnehmenden Gott. Der Mensch muss seine Welt selbst menschlich gestalten.

 

Kreiszeitung 24.04.2010

Von Anna Deylitz

Verlorener Sohn in düster-neuem Licht.

Mit „Das Missverständnis“ von Albert Camus hat das Theater Szene 03 einen schweren Brocken erfolgreich geschultert. Der erfahrene Theater-mann und Regisseur Jürgen Siehr schart seit nunmehr sieben Jahren eine Truppe jeweils handverlesener Spieler um sich. (...)

Im "Missverständnis" setzt Camus die Geschichte vom verlorenen Sohn in ein neues Licht. (…) Ein bedrückendes, dichtes, angreifendes Stück, das ein wenig unter der bleiernen Gedankenschwere leidet, die der Autor ihm mitgegeben hat. Damit ist es eine Herausforderung für Regie und Schau-spieler. (…)

Daniel Bayer spielt den Sohn so ahnungslos-naiv-unpathetisch, wie man es sich wünscht. Selbst in der Szene mit seiner Frau Maria, der Christine Binder das wunderbare Stück Normalität verleiht, bleibt er ein Traum-tänzer. Mit der stimmigen Maske von Miya Schweickart verwandelt sich Gisela Samesch in die verhärmte, versteinerte alte Frau, die nur noch weitermacht, aber längst aufgehört hat zu leben. Die schwierige Rolle der Tochter meistert Katrin von Hochmeister durchweg gut: Getrieben von der skrupellosen Gier nach Lieben und Leben ist sie unsicher und herrisch zugleich. Die Rolle des alten Knechts, der bedeutungsschwer und fast wortlos durch die Szene schlurft, übernimmt Jürgen Siehr selbst. 

Für ein modernes Stück, das mit mehr als 65 Jahren eigentlich in Rente gehen müsste, ist „Das Missverständnis“ immer noch gültig und durchaus lohnenswert anzuschauen.