Sindelfinger Zeitung SZBZ vom 22.Oktober 2020, Matthias Staber

 

Vom FC Gretchen zum Prolog im Himmel

 

„Faust ist Fußball“ behauptet die neue Inszenierung der Theater Szene 03 und präsentiert damit einen höchst unterhaltsamen Blick auf Goethes Klassiker. Rund 50 Zuschauer sahen sich das von Ehemann Karsten gespielte Einpersonenstück bei drei Vorstellungen am Premierenwochenende an. 

 

„Ein tolles Buch müssen Sie mal lesen“, lautete das Fazit des von Karsten Spitzer gespielten Fußballfans über „beide Fäuste“ von Goethe, wie der die zwei Teile des klassischen Dramas nennt. Zu diesem Zeitpunkt liegen, ohne Pause, rund 90 Minuten einer eigentümlichen Faust-Lektüre hinter dem Publikum, die sich mit der Sprache des Fußballs diesem Stoff nähert, „mit dem sie mich schon in der Schule gequält haben“.

 

Von seiner Ehefrau verlassen, einer geisteswissen-schaftlichen Intellektuellen, „die immer so tut, als seien Kultur und Fußball Gegensätze“, schließt der Protagonist einen Pakt mit dem Publikum: “Wenn ich beide Fäuste verstehe, wird sie zu mir zurückkommen“, schwört Karsten Spitzer sich und sein Publikum auf diese Faust-Lektüre ein.

 

Der Sport als Zugang

 

Und die hat es in sich: Als fanatischer Fußball-Fan nutzt der Protagonist die Sprache des Sports, und dessen Vermarktung, als Zugang des Text. Das Ergebnis ist immer überraschend, manchmal plausibel und oft ziemlich schräg und witzig. Da wird Gretchen zum kleinen, unschuldigen Fußballverein „FC Gretchen“, „etwas ganz Reines, was es im Fußball immer weniger gibt“, Mephisto zum „windigen Typ, Marke Spielerberater“, der „Prolog im Himmel beschwört die alten Fußballhelden von 1954“, und die Dauerpräsenz von kommerzialisiertem Fußball auf allen Kanälen zur Metapher eines alles verschlingenden Fortschrittsgedankens, wie Goethe ihn im zweiten Teil von Faust zeichnet.

 

So unterhaltsam Karsten Spitzer diese eigentümliche Klassiker-Lektüre serviert, so wenig lässt sich das Stück als reine Klamauk-Nummer abtun: In „Faust ist Fußball“ verhandelt Elke Spitzer spannende Themen, deren Ernsthaftigkeit sich dem Zuschauer im Verlauf des Stücks in immer größerer Vielschichtigkeit erschließt. Kapita-lismuskritik trifft auf Reflexionen über den Sinn des Lebens, Popkultur und Hochkultur werden auf Augenhöhe miteinander ins Verhältnis gesetzt. Und nicht zuletzt kann „Faust ist Fußball“ als leidenschaftliche Werbung dafür verstanden werden, sich klassische Texte per Eigenlektüre zu erschließen.

 

22 Zuschauer haben Platz

 

Und eine in Corona-Zeiten hochwillkommene aufmun-ternde Botschaft gibt es obendrein: Augenblicke zu denen ein Mensch sagen kann,“verweile doch, du bist so schön“, sind möglich, obwohl uns Faust etwas anderes einreden möchte – seien es Momente höchster Fußballfreude oder die Anfänge gelingender zwischenmenschlicher Bindungen.

 

Die Theater-Szene03 spielt „Faust ist Fußball“ im Sindelfinger Theaterkeller unter Corona-Bedingungen: 22 Zuschauer haben dort derzeit mit Abstand Platz. Unter diesen Voraussetzungen können sich die Zuschauerzahlen der drei Vorstellungen des Premierenwochenende sehen lassen: Nach einer ausverkauften Premiere am Freitag sahen sich noch einmal insgesamt knapp 30 Zuschauer das Stück am Samstag und Sonntag an. In normalen Zeiten wären diese Zahlen bitter, während der Corona-Pandemie stehen sie für den hohen Wert kultureller Arbeit, die vom Publikum mit begeistertem Applaus gefeiert wird.