Kunst 2015

Kreiszeitung, 13.04.2015

 

Von der Gruppendynamik einer Männerfreundschaft

 

Regisseur Jürgen Siehr ist es mit seinem Theater Szene 03 ein-mal mehr gelungen, das Publikum im Theaterkeller zu begei-stern. Dieses Mal geht es um Männer.

 

VON ANNA J. DEYLITZ

 

SINDELFINGEN. Das wohl erfolgreichste Stück der letzten Jahre ist boulevardesk, es ist urkomisch und hält dabei dennoch der Gesellschaft einen scharf zeichnenden Spiegel vor. Es zeigt, wie langjährige Männerfreundschaft funktionieren kann und wie unvorhersehbare Geschehnisse so eine Freundschaft auf die Probe stellen können.

Serge, der erfolgreiche Dermatologe, hat sich nach langem Über-legen ein Bild gekauft. Das Bild ist weiß mit weißen Streifen. Nicht ohne Stolz verkündet er, dass es 200 000 Francs gekostet hat. Er ist überzeugt von diesem Kauf, aber ob er sich wirklich aus Begeisterung für die Kunst oder aber aus verkappter Wichtigtuerei zu diesem Kauf hat hinreißen lassen, weiß er wohl selbst nicht.

Karsten Spitzer hält diesen Typen wunderbar in der Schwebe: Er ist abwechselnd selbstgefällig, begeistert, beleidigt, einlenkend und alles überzeugend. Freund Marc, ein etwas dröger Luftfahrt-ingenieur,  sieht dieses Bild das erste Mal und bricht in schallen-des Gelächter aus. Mit seiner Kurzbeschreibung „weiße Scheiße“ macht er sich bei Freund Serge nicht gerade beliebt, der denn auch mit einem Angriff auf die Partnerin von Marc kontert.  Daniel Bayer spielt diesen Marc herrlich polternd. Er sieht aber auch sei-nen Anspruch gefährdet, sein persönliches Weltbild allen anderen aufzustülpen. Auf die Beleidigung seiner Partnerin fällt ihm nur Handgreifliches ein.

Zufälliges Opfer dieser Handgreiflichkeit ist Freund Nummer drei: Yvan. Wie er in diesen Freundeskreis geraten ist, bleibt das Geheimnis der drei Männer. Er ist der Loser, der – frei von eige-ner Meinung – von den beiden anderen manipuliert wird, wo auch immer es nötig ist. So spielt er zum Beispiel für Serge den Kunst-versteher (eine wunderbare Szene) und für Marc den Ratlosen. Daniel Neumann spielt diesen Yvan so wunderbar tapsigverquast, dass man Mitleid mit dieser Figur bekommt. Das Glanzstückchen von Neumann aber ist Yvans Beschreibung eines interfamiliären Zwistes: Die diversen Mütter und Stiefmütter streiten bezüglich der Namensnennung auf den Einladungskarten zu seiner bevor-stehenden Hochzeit. Verdienter Szenenapplaus!

Was wird aus dem Dreiergespann dieser ja durchaus schon in die Jahre gekommenen Männer? Was bleibt von diesem Streit? Ist da noch etwas zu reparieren? Zunächst mal kommt der stets um Aus-gleich bemühte Yvan auf die gute Idee nach Essbarem zu fragen. Man stürzt sich auf ein paar Oliven und sitzt wieder gemeinsam an einem Tisch. Und schließlich darf Marc mit Filzstift auf dem weißen Bild herummalen: Ein Skifahrer in Schussfahrt entsteht. Die Spuren des (abwaschbaren!) Filzstiftes beseitigen dann beide Kontrahenten gemeinsam wieder und konstatieren, dass dieses Bild einen Skifahrer zeigt, der einen Hang hinunterfährt und ver-schwindet.

Regisseur Jürgen Siehr und seiner Schauspielertruppe ist es gelun-gen, diese komplexen gruppendynamischen Prozesse einer Männer-freundschaft glaubwürdig und dabei höchst vergnüglich auf die Bühne zu bringen. Nach reichlichem Beifall geht man beschwingt und auch nachdenklich heim.

Ein Stück, das man gesehen haben muss!

SZ/BZ

 

Sindelfingen: Karsten Spitzer, Daniel Neumann und Daniel Bayer vom Theater Szene 03 überzeugen im Theaterkeller mit der Komödie „Kunst“ von Yasmina Reza

 

Die Grenzen der

Männerfreundschaft

Kultur Lokal vom 15.04.2015

 

Als höchst amüsante Charakterstudie präsentiert die Bühne Theater Szene 03 die Komödie „Kunst“ von Yasmina Reza, mit der Regisseur Jürgen Siehr und die Darsteller Karsten Spitzer, Daniel Neumann sowie Daniel Bayer am Freitag im Sindelfinger Theaterkeller Premiere gefeiert haben.

„Für so einen Scheiß hast du 200000 Franc bezahlt?“ Für Marc (Daniel Bayer) bricht eine Welt zusammen, als sich dessen Freund Serge (Karsten Spitzer) für eine Menge Geld ein Bild mit moderner Kunst zulegt, das nicht mehr zeigt als eine weiße Leinwand. Mehr als Spott und Häme gibt es dafür von Marc nicht.

Serge wiederum dürstet nach Anerkennung von seinem Freund für seinen Kunstverstand und diese tolle Investition. Keine fünf Minuten braucht die Komödie „Kunst“, um die Fronten klar zu stellen: Hier droht eine Freundschaft wegen eines Stücks sauteurer weißer Leinwand zu zerbrechen.

Nur vordergründig geht es dabei um die Skurrilitäten der Wertbeimessung im Zusammenhang mit moderner Kunst. Vielmehr geht es um Erwartungshaltungen in menschlichen Beziehungen, und wie sie Kitt und Sprengstoff zugleich für Freundschaften sein können. Es geht um Loyalität, um feh-lendes Feingefühl und darum, wie dieses Gefühl von „wir gegen den Rest der Welt“ einer Freundschaft Sinn und Form geben kann und sie zugleich bedroht, sobald kleinste Stell-schrauben am Freundschaftsgefüge verstellt werden. Und es geht um die Frage, ob kleine Lügen nicht manchmal den gros-sen Wahrheiten vorzuziehen sind, wenn es um Gefühle geht.

Ein teures Bild, drei Männer und viel Dialog: Mehr braucht „Kunst“ nicht, um den ganzen Kosmos einer Freundschaft zu durchschreiten. Als dritter im Bunde gerät dabei Yvan (Daniel Neumann) ins Kreuzfeuer seiner beiden Freunde. Harmonie statt Konflikt lautet seine Devise. Wo Serge und Marc Fronten ziehen, versucht Yvan Gräben zuzuschütten und reißt damit ein weiteres großes Thema der Freundschaft an: Braucht es nicht klare Linien, bisweilen den Konflikt, um Freundschaften am Leben zu halten?

Glasklar zeichnen Daniel Bayer, Karsten Spitzer und Daniel Neumann ihre Figuren: den Zyniker, der sich zurückgewiesen fühlt und seinen Durst nach Zuneigung durch hämische Sprüche verschleiert. Den erfolgreichen Mann in der Midlife-Krise, der sich Anerkennung über bildungsbürgerliche Atti-tüden erhofft. Und den konfliktscheuen und harmoniesüch-tigen Weichling, der in der Freundschaft vor allem Geborgen-heit sucht.

 

Bisweilen streift dabei das Spiel von Daniel Neumann die Grenze zur Überzeichnung: Wenn er jammert und heult, wehklagend und wimmernd um das Ende der Streitigkeiten bettelt, droht dieser Yvan bisweilen zur Karikatur zu gerin-nen. Irgendwie bekommt Daniel Neumann dann doch immer wieder die Kurve und setzt seine Figur auf das Gleis nachvoll-ziehbarer Verhaltensweisen zurück: Für diese vergnügliche Schlingerfahrt zwischen komödiantischem Ausschöpfen seiner Figur und Slapstick gibt es bei der Premiere Szenen-applaus im gut besuchten Sindelfinger Theaterkeller.

Langweilig wird „Kunst“ nie:  Es macht höllischen Spaß diesen drei Männern dabei zuzusehen, wie sie die Grenzen ihrer Freundschaft ausloten und dabei immer wieder in die Falle allzu starrer Erwartungshaltungen tappen. Viel zu lachen gibt es dabei. Und eine Menge zum Nachdenken: genau die richtige Mischung für einen vergnüglichen Theaterabend mit Tiefgang.

Von unserem Mitarbeiter Matthias Staber