Sherlock Holmes           Sir Arthur Conan Doyle

 

 

Kreiszeitung        30.10.2019   Achim Schwatzler

 

Ein messerscharfer Verstand als

die gefährlichste aller Waffen

 

Theater Szene 03 inszeniert "Sherlock Holmes" als spannendes Krimi-Psychogramm

 

Die Ausgangshandlung des neuesten Streichs von Theater Szene 03 ist schnell zusammengefasst. Allerdings steckt noch viel mehr hinter der überaus gelungenen Inszenierung von "Sherlock Holmes". Die Handlung bildet schließlich nur den Rahmen für einen ausgefeilten Blick in die Gedankenwelt der ikonischen Hauptfigur. Das Stück ist mehr als ein Krimi, entwickelt sich immer mehr in Richtung eines Psychogramms mit Tiefgang und zieht daraus seine Spannung über die gesamten anderthalb Stunden Spieldauer. 

Zu Beginn ist Polizeiberater Sherlock Holmes vor allem eines: gelangweilt. (...) Seine Kriminalfälle hat Holmes sowieso alle nebenbei gelöst. Die schicken Möbel in seiner Wohnung nimmt er lediglich als türkise Würfel wahr. Langweilig eben. (...)

"Wie ist das so mit kleinen Hirnen?" fragt der exzentrische Holmes seine Mitmenschen. (...) Femi Morina gelingt es mit facettenreichem Spiel, den aufgrund seiner geistigen Überlegenheit fast schon arroganten aber auch verzweifelten (Anti-)Helden irgendwie doch zu einem Sympathieträger zu machen. Viel dazu trägt auch Daniel Bayer als unermüdlicher Watson bei, der die Launen seines Freundes erträgt und als Motivator auftritt. Bayer hat sichtlich Spaß an der Rolle des einäugigen unter den Blinden, der Holmes immer wieder mit wichtigen Stichworten versorgt, aber in Sachen Intellekt nicht mit diesem mithalten kann. Die Dynamik zwischen den beiden stimmt und sorgt auch immer wieder für kleine Lacher, ohne den grundsätzlich ernsten Thriller in eine plumpe Komödie umzuwandeln. 

Die Entdeckung des Stücks ist aber zweifelsohne Giovanni Gagliano als Gegenspieler Professor Moriarty. Zwischen kriminellem Genie und überbordendem Wahnsinn, zwischen gefährlichem Soziopath und der beinahe kindlichen Freude an perfiden Spielchen trifft er alles auf den Punkt, auch wenn er häufig in Sekundenbruchteilen von einer Emotion in die andere wechseln muss. Er ist der Strippenzieher in seinem verzweigten Spinnennetz, der das anfängliche Entführungsopfer Alice Faulkner erst zur Komplizin macht, nur um diese dann doch wieder böse zu überraschen. Als einziger weiblicher Figur gelingt Jenny Schwartz dabei hervorragend der Spagat zwischen ängstlicher Maid in Nöten und verführerischer, manipulativer Mittäterin, ohne dabei in Klischees abzutriften. Komplettiert wird das Ensemble von Regisseur Karsten Spitzer, der humorvoll aber niemals albern die Rolle des nicht wirklich fähigen Scottland-Yard-Inspectors Lestrade übernimmt. Mit Mut zur Dümmlichkeit ist er der Gegenpol zu Holmes und Moriarty. 

Deren Katz-und-Maus-Spiel bildet den Mittelpunkt der Inszenierung. Sherlock und sein Erzrivale werden als zwei Seiten der selben Medaille dargestellt. Beide sind mit einem unglaublichen Grips gesegnet, nutzen ihn aber unterschiedlich. Der eine innerhalb der Grenzen von Moral und Ethik, der andere mit der Freiheit des Bösen. Bezeichnend: Zwischen beiden liegt ein Revolver auf dem Tisch, aber keiner benutzt ihn, obwohl sie wissen, dass der andere gefährlich werden könnte. Die Pistole brauchen sie nicht.Ihre Waffe ist der messerscharfe Verstand. Und am Ende wartet eine verblüffende Pointe im Domizil von Holmes, die alles zuvor gesehene je nach Interpretation auf den Kopf stellen könnte.

Elke Spitzer die Arthur Conan Doyles Werk aus dem späten 19. Jahrhundert übersetzt und damit eine deutsche Uraufführung ermöglicht hat, sorgt mit der Umsiedlung in die Moderne für einen zusätzlichen Reiz. Wenn Moriarty sein kriminelles Netzwerk darlegt, spielen die sozialen Medien eine nicht unerhebliche Rolle: "Ein paar Klicks, und alle können sehen, was ich zu sagen habe. Und sie glauben es. Für sie wird es zur Wahrheit." Datenanalyse, Populismus und korrupte Politiker - Themen mit aktuller Brisanz, die dem packenden Stück noch einen zusätzlichen Reiz verleihen.

 

 

 

 

SZ/BZ                              30.10.2019

 

Bernd Heiden

 

Genies auf der Spielwiese des Bösen

 

Uraufführung von "Sherlock Holmes" durch das Theater Szene 03

 

Der Meisterdetektiv ist fertig. Noch bevor eine Tabakspfeife im Mundwinkel sitzt, spritzt er sich Kokain in die Vene: Sherlock Holmes leidet an Überdruss und Langeweile, will keine neuen Fälle lösen. Dies ist das Ausgangsszenario von "Sherlock Holmes" als Bühnenstück. Kein Kriminalrätsel, sondern an erster Stelle ist der Detektiv selbst das Problem. 

Den übellaunigen Holmes (Femi Morina) wieder auf die Ermittlerspur zu bringen, darauf verwenden Dr. Watson (Daniel Bayer) und Scottland-Yard-Inspektor Lestrade (Karsten Spitzer) reichlich Bearbeitungsaufwand. Für einen ungelösten Fall lässt sich der Ermittlungsmüde schließlich letztmals motivieren. Seinen Ehrgeiz stachelt an, dass er beim ersten Aufklärungsversuch dieser undurchsichtigen Erpressung an einen Gegner geraten ist, der es als Einziger mit ihm an IQ aufnehmen kann: Der früh in den Kriminalistenfokus geratene, aber nicht zu überführende Mr. Richard Larabee (Giovanni Gagliano), der sich als Bösewicht - Superhirn Professor Moriarty entpuppt. 

Mit Scheinidentität und Gerissenheit gelingt diesem, die Detektive zunächst über seine wahre Motivlage zu täuschen. Die wittern zuerst die Erpressung eines englischen Hochadligen. Von dem kursieren Dokumente über dessen Affäre mit einem einfachen Mädchen aus dem Volk, das, nach Schwängerung sitzen gelassen, tot aufgefunden wird. 

Deren Schwester, eine attraktive junge Dame (Jenny Schwartz) scheint bei Holmes ganz neue Lebensgeister zu erwecken. Indes. sie lockt ihn und Watson für den Professor in eine Falle. Dass die in einem Keller mit ausströmenden Gas beinah tödlich endet, stachelt Holmes um so mehr an. Seine Gewissheit wächst, dass er es mit einem ebenbürtigen Genie zu tun hat. 

 

             Es geht um die Weltmacht

 

Dem Publikum hat sich der Professor unterdessen längst zu erkennen gegeben als ein Manipulator, dem es überhaupt nicht um ein paar Pfund aus einer Erpressung, sondern um die Weltmacht geht. In diesem Detektiv-Stück steht er für im Hintergrund aktive Polit-Strippenzieher, erinnernd an die Verbrecherausgabe eines Dominic Cummings, ominöser Chefberater von Brexit-Boris- Johnson. 

Höhepunkt des Stücks bildet das Aufeinandertreffen von Sherlock Holmes mit Professor Moriarty, bei dem sich eine Szene zwischen beiden wie entsprungen aus einem Dostojewski-Roman entspinnt:

Moriarty doziert über die wahre Spielwiese des Genies, das Böse. Das legt, anders als das Gute dem Geist keine Fesseln an. Zwar bekunden beide unisono: " Ich bin wie du." Aber das bezieht sich nur auf den IQ. Denn in der Schluss-Szene erwacht Holmes zu plötzlicher juveniler Frische, als ihn ein Brief, mit großem "M" wie Moriarty, gefunden beim schon dritten Mordopfer des Monats aus der Politik erreicht: Der Meisterdetektiv ist nicht fertig.  (...) 

Im Zentrum stehen Psychologie, Macht- und Moraldiskurs. Man muss allen echten Sherlock-Holmes-Fans diese Theater Szene 03-Inszenierung ans Herz legen: So wie hier durchleuchtet, werden sie ihren Helden schwerlich woanders schon erlebt haben.

 

 

 

Beilage der SZ/BZ:

 

Starke Stücke

 

Der Theaterkeller prägt die Kulturszene über Sindelfingen hinaus

 

Mit dem Theaterkeller in der Vaihinger Straße verfügt Sindel-fingen über einen Spielort, der zwar inzwischen in die Jahre gekommen ist, jedoch nach wie vor das kulturelle Leben über die Stadtgrenze hinaus prägt. 

Hochkarätiges Amateurtheater, das oft im Zusammenspiel mit Profis auf die Bühne gebracht wird: Dafür steht der Sindelfinger Theaterkeller, seitdem der Spielort im Jahr 1984 im Umtergeschoss des Hotel Knote eingeweiht wurde. 

Bei der im Jahre 2003 von Profi-Regisseur und Schauspieler Jürgen Siehr gegründeten Gruppe "Theater Szene 03" handelt es sich um ein gutes Beispiel für dieses gelungene Zusammenspiel von Profis und Amateuren. Im Jahr 2015 übernahm Profi-Schauspieler Karsten Spitzer die Leitung der Gruppe. Für ihre Produktionen engagiert das Theater Szene 03 zudem meist weitere Profis. 

So auch in der aktuellen Produktion "Sherlock Holmes", die den bekannten Stoff von Sir Arthur Conan Doyle in einer modernen, entstaubten Version auf die Bühne des Theaterkellers bringt: Neben Jenny Schwartz, Daniel Bayer und Karsten Spitzer spielen darin die beiden professionellen Darsteller Femi Morina und Giovanni Gagliano.

Die Schlüssigkeit dieses Konzepts lässt sich unmittelbar an der Qualität der Produktionen ablesen: Nicht nur die Profis selbst heben das Niveau von Inszenierungen wie "Gut gegen Nordwind", "Amadeus", "Biedermann und die Brandstifter" oder "Endstation Sehnsucht"; sondern das gesamte Ensemble agiert so hochkarätig wie es im Amateurtheaterbereich nur selten anzutreffen ist. (...)

35 Jahre nach seiner Einweihung ist der Theaterkeller Sindelfingen jedoch inzwischen in die Jahre gekommen. So verfügt der Spielort im Untergeschoss des Hotel Knote über keine vernünftige Lobby, die Besucher zum Verweilen einlädt. Und auch die Bühne und Zuschauerraum passen nicht mehr so recht zu den ambitionierten Produktionen. (...)

 

Matthias Staber