Kreiszeitung Böblingen vom 06.10.2008

Lebensversicherung als Tatmotiv für Freitod

Von Anna J. Deylitz

Das wohl erfolgreichste Stück von Arthur Miller bringt das Theater Szene 03 auf die Bühne. (...)
Willy Loman ist Vertreter einer Spezies von Reisenden, über die die wirtschaftlichen Zeitläufe längst hinweggezogen sind. Hat er dereinst mit Witzchen seine Ware an die Händler gebracht, so kommt er jetzt einfach nicht mehr an und muss sich seinen angeblichen Verdienst von Freund Charley (sehr überzeugend Fritjof Künzel) borgen. (...) Jürgen Siehr - in der ungewollten Doppelrolle als Willy Loman und als Regisseur, hat das Stück in seiner Zeit gelassen und verleiht Loman das vielschichtige Bild aus Verzweiflung, „alles ist möglich“ und „wir sind ja schließlich wer“.
Das Vertrauen seines Sohnes Biff (Tristan Materna in einer schwierigen Rolle) hat er früh verloren. (...) Sohn Happy (gut, Bernd Steinhart) hat nichts als Weiber im Kopf. Ruhender Pol dieses Familiendramas ist Linda, die Ehefrau, die versteht, durchschaut, und immer wieder versucht alles zusammenzuhalten, sehr gut gespielt von Annette Kadow.

Die neue Zeit wird repräsentiert durch den jungen Chef Willys, Howard Wagner (Karsten Spitzer spielt diese neue Zeit ebenso überzeugend wie erschreckend zeitnah), der den verzweifelten Loman einfach feuert. Was bleibt Willy Loman? Er ist müde, spürt, dass er auf der ganzen Linie gescheitert ist, er flüchtet sich in Selbstgespräche und in eine Zwiesprache mit seinem erfolgreichen und längst verstorbenen Bruder. Das Angebot seines besten Freundes für ihn zu arbeiten, lehnt er aus Stolz ab.
Willy beschließt seinem Leben einen endgültigen Sinn zu verleihen, indem er sich opfert und so der Familie seine Lebensversicherungssumme hinterlässt. (...)
Die kleineren Rollen, Charleys erfolgreicher Sohn Bernard (gut, Volker Bönisch, der zusätzlich auch den Kellner kurzfristig übernommen hat), die Verführerin (Katrin Finkelnburg), und andere sind stimmig besetzt und tragen das Ihre zu der insgesamt guten Ensembleleistung bei. Die schwierige Gestaltung des eigentlich aufwendigen Bühnenbilds ist ausgezeichnet gelöst, und Licht und Ton stimmen, so dass der Gesamteindruck wirklich beeindruckend ist.
Offenkundig beeindruckt verfolgt das zahlreich erschienene Publikum diesen Niedergang eines eigentlich braven Menschen und spendet langanhaltenden Applaus.

 

Sindelfinger Zeitung vom 08.10.2008

Klassiker kein leichtes Brot

Von Ulrich Holthausen

„Er war ein Handlungsreisender und ein Reisender braucht Träume, er hat ja sonst nichts als seinen Bezirk." Das Sindelfinger Theater Szene 03 präsentierte eine einfallsreiche Inszenierung (Jürgen Siehr) von Arthur Millers entlarvendem „Tod eines Handlungsreisenden".
Kein leichtes Brot im Sindelfinger Theaterkeller. Die Bilanz dieses Lebens ist deprimierend. Der Wettlauf mit der letzten Rate entlarvt die Illusion einer Nation. In Arthur Millers Klassiker des modernen amerikanischen Theaters scheitert der Handlungsreisende Willy Loman daran. Doch das Stück, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, ist zeitlos und ortsunabhängig.
Zentrales Thema sind Menschen, die am System kaputt gehen, finanziell und emotional. Willy Loman ist im Alter dem Leistungsdruck nicht mehr gewachsen. Er hat sich in seinem Leben bis zur Ausweglosigkeit verstrickt. Alles war nur eine Illusion, das ganze Leben eine Lüge.
Auch wenn die ganz großen, starken Bilder fehlen, es ist eine einfallsreiche Inszenierung, die Jürgen Siehr da auf die Beine gestellt hat. Das Bühnenbild ist verblüffend und raffiniert, die zahlreichen Rückblenden werden im Licht(-Wechsel) greifbar, die anspruchsvollen Übergänge auf der Bühne sehr schön durchgespielt. Nicht umwerfend originell vielleicht die Verjüngungskur für die Söhne (ein nachdrücklicher Tristan Materna als Biff und stark „Happy" Bernd Steinhart) bei diesen Rückblenden.
Seit der Inszenierung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" Anfang 2003 präsentiert sich diese freie Theatergruppe unter der Leitung des Holzgerlingers Jürgen Siehr in wechselnder Zusammensetzung zur je- weils aktuellen Inszenierung. Eine griffige und klingende Besetzungsliste bis in die teils kurzen Rollen (die Verführerin Katrin Finkelnburg, Ylva Brinker, Volker Bönisch) in diesem personenreichen Spiel hat Jürgen Siehr auch dieses Mal zusammengestellt.

Engagierte Darsteller

Die engagierten Darsteller verleihen dem Spiel viel Farbe. Wieder mal sehr präsent und nachdrücklich Frithjof Künzel als Freund Charley und ein köstlicher Karsten Spitzer erschreckend glaubwürdig in der Rolle des schnoddrigen Juniorchefs. Annette Kadow als Ehefrau Linda trifft die Temperamentswechsel in den Rückblenden überzeugend.
(...)
Relativ kurzfristig hat Regisseur Jürgen Siehr auch die Hauptrolle übernehmen müssen. Nachhaltig und stark in den fiktiven Zwiegesprächen mit seinem verstorbenen Bruder (Stimme Rolf Spiess), überzeugend im deprimierenden Alltag seiner Gegenwart schafft er den Wechsel in die Rückblenden nicht immer. (...)
„Nach all den Jahren bist du tot mehr wert als lebendig". Der Weg in den Tod als endgültige Sinngebung. Kein leichtes Brot für ein sichtlich beeindrucktes Publikum im Theaterkeller.